Herzogenaurach (SID) Jetzt ist Hansi Flick gefordert. Er muss die Nationalmannschaft wiederbeleben. Viel Zeit bleibt dem neuen Bundestrainer nicht.
Seine „Flitterwochen“ nach dem Ja-Wort hat Hansi Flick auf Formentera genossen, doch nach dem entspannten Urlaub wartet auf ihn jetzt der stressige Ehe-Alltag. Offiziell tritt Flick den Posten des Bundestrainers erst am 1. August an, die Arbeit des 56-Jährigen hat aber längst begonnen. Gemeinsam mit Oliver Bierhoff bastelt Flick fleißig an einer erfolgreichen Zukunft der tief gefallenen Nationalmannschaft – und die Zeit drängt.
Flicks Auftrag sei es, betonte DFB-Direktor Bierhoff nach dem Achtelfinal-Aus bei der EM, „erfolgreich zu spielen“. Aber: „Dafür wird ihm wenig Zeit gegeben.“ Daher verschwendet Flick auch gar keine.
Bei den ersten deutschen EM-Spielen nahm der 56-Jährige in der Münchner Arena einen der besten Plätze ein, mit seinem ehemaligen Chef Joachim Löw stand er per Telefon und SMS in ständigem Austausch. Flick habe „richtig Lust auf die Arbeit“, stellte Bierhoff zufrieden fest. „Die Vorfreude ist riesig“, bestätigte Flick.
Für Rekordnationalspieler Lothar Matthäus steht nach der bleiernen Spätphase unter Löw fest: „Ganz Fußball-Deutschland freut sich auf Hansi Flick.“ Dieser sehnt sich trotz der erfolgreichen anderthalb Jahre bei Bayern München mit bemerkenswerten sieben Titeln nach Harmonie. Der interne Machtkampf mit Sportvorstand Hasan Salihamidzic hatte ihn zermürbt. Der ihm so wichtige respektvolle Umgang dürfte beim DFB gegeben sein.
Den Münchner Luxus-Kader wird er hingegen vermissen. Löw ist zwar sicher, dass „Mannschaft und Spieler eine sehr gute Zukunft vor sich haben“, doch die Anzahl der Baustellen ist nach der zweiten Turnier-Enttäuschung binnen drei Jahren groß. Ein Bayern-Block als Allheilmittel wird nicht funktionieren. Auch wenn Flick die Münchner kennt und ihnen vertraut.
Sein 4-2-3-1-Erfolgssystem mit intensivem Pressing ist auf die Nationalmannschaft nicht eins zu eins übertragbar – dabei mangelt es nicht nur an einem Weltklasse-Stürmer wie Robert Lewandowski. Auf Schlüsselpositionen wird seit Jahren improvisiert. Es fehlen Außenverteidiger mit internationaler Klasse, es gibt zu wenige Dribbler.
Flick lobte nach seiner Vertragsunterschrift bis 2024 dennoch „die Klasse der Spieler, gerade auch der jungen Spieler in Deutschland“. Er sieht „allen Grund, die kommenden Turniere, zum Beispiel die Heim-EM 2024, mit Optimismus anzugehen“.
Das erste Ziel ist aber die Winter-WM 2022 in Katar. Schon dort erwartet Bierhoff eine „schlagkräftige Mannschaft“. Das gemeinsame Ziel laute: „zurück an die Weltspitze“.
Flicks Start erfolgt in der WM-Qualifikation am 2. September im Schweizer St. Gallen gegen Außenseiter Liechtenstein. Er muss der Mannschaft in kurzer Zeit eine Spielphilosophie verordnen. Ende Juli/Anfang August wird es mit Bierhoff wegweisende Gespräche geben. Die Zusammensetzung des Trainerstabes wird wohl früher geklärt – Flick bringt voraussichtlich seinen Assistenten Danny Röhl aus München mit.
Flick startet mit klaren Vorstellungen in sein Amt. Bei den Bayern hat er die Probleme schnell in den Griff bekommen. Er galt als Menschenfänger. Das macht Mut.
Denn der Renovierungsstau aus der Ära Löw ist enorm. Auch ein Mentalitätswandel muss her. Die DFB-Auswahl benötigt neues Leben. Es mangele an „Killerinstinkt“, sagte Bierhoff, ein „Strafraumstürmer“ fehle.
Flick wird zwangsläufig auf die Jugend setzen müssen. In München hat er Jamal Musiala herangeführt. „Ich wünsche mir, dass wir mehr U21-Spieler einbauen“, sagte Bierhoff mit Blick auf den EM-Titelgewinn des Nachwuchses.
Vom U21-Kader beim EM-Titel 2017 stand bei diesem Turnier einzig Serge Gnabry im Kader. Flick sei jemand, „der längerfristig schaut, um junge Spieler für den deutschen Fußball zu entwickeln“, ist sich Bierhoff sicher. In seiner Bayern-Zeit habe er gezeigt, „wohin er eine Mannschaft als Cheftrainer führen kann“. Das soll nun auch beim DFB gelingen.