Noch sind es ein paar Monate bis zur Eröffnung der Olympischen und Paralympischen Spiele in Paris, aber die Spannung steigt enorm. Zumindest bei den Athleten und den Trainern. Sie befinden sich im Training längst in der finalen Vorbereitung, unterbrochen höchstens durch Wettkämpfe, bei denen es um die Qualifikation geht.
Auch auf dem sportpolitischen Parkett ist derzeit eine enorme Anspannung wahrzunehmen. Dabei geht es weniger um das Abschneiden in Paris, sondern um das bei den Spielen 2028 in Los Angeles und anderen internationalen Meisterschaften. Die entscheidende Frage lautet: Wie kann die Trendwende im deutschen Spitzensport gelingen? Wie kann Deutschland seinem eigenen Anspruch gerecht werden und wieder einen Top-Five-Platz in der Nationenwertung erreichen?
Im Dezember 2016 wurde im Hinblick darauf auf der Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) beschlossen: Für eine deutlich aufgestockte finanzielle Förderung durch das Bundesinnenministerium (BMI) sollten klarere Zielstellungen und besser abgestimmte Kooperationen für mehr Effizienz sorgen. Ein Ansatz hierfür war zum Beispiel das Potenzial einer Sportart zu bewerten und die Zahl der Olympia-Stützpunkte (OSP) von 19 auf 13 zu reduzieren. In Baden-Württemberg wurden die vier OSP Freiburg, Metropolregion Rhein-Neckar und Stuttgart unter der Trägerschaft des Landessportverbandes Baden-Württemberg (LSVBW) vereint, Tauberbischofsheim wird als Servicepunkt Fechten und Bundesstützpunkt weitergeführt. Die Standorte konnten also erhalten bleiben.
Diskutiert wird derzeit eine Agentur für Sport auf Bundesebene, in der die Förderentscheidungen für die Spitzenverbände, deren Bundesstützpunkte, die Olympia-Stützpunkte, die Institute für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) sowie Forschung- und Entwicklung von Sportgeräten (FES) gebündelt werden sollen. Und es soll darüber auch die sportfachliche Steuerung erfolgen. Ob allerdings eine Bundesagentur für all diese Aufgaben das richtige Instrument darstellt, darf bezweifelt werden.
Viel wichtiger als eine Bundesagentur zu etablieren, ist es, das Gesamtsystem zu beleuchten. An ausgewählten Standorten ist eine Top-Infrastruktur frei von regionalen und sportpolitischen Interessen zu erstellen, wodurch eine Sogwirkung für Athletinnen und Athleten entstehen kann. Hierbei spielen die OSP sicherlich eine wichtige Rolle. Wichtig ist aber, dass ihre Motivation so groß ist, dass sie dorthin freiwillig gehen wollen. Auf keinen Fall darf man denken, dass man sie dorthin delegieren könnte. Vielmehr muss man sich von einer hierarchischen Steuerung des Spitzensports verabschieden.
Eine solche Steuerung ist weder von einer zentralen Agentur noch von Seiten des DOSB oder einem Spitzenverband zu schaffen. Erhalten und ausgebaut muss dagegen das Wissen einzelner Einheiten werden. Es muss dort unterstützt werden, wo Leistung entsteht, entwickelt und erbracht wird. Hier denke ich vor allem an Vereine und Landesfachverbände. Dort entstehen innovative Ideen. Dies ist eine Stärke des Föderalismus, auch wenn dies viele nicht gerne hören wollen. Die Autonomie des Sports darf auf keinen Fall missachtet werden, sondern muss erhalten bleiben. Über Jahrzehnte hat sich in unserer Gesellschaft das bestehende System der Subsidiarität bewährt, ebenso wie kleine Einheiten zwischen Trainern und Athleten oder Athletinnen. Die Erfolge zeigen es. Gelingt uns der Erhalt und der Ausbau dieser Struktur, dann erfährt das Gesamtsystem einen Mehrwert. Und deutsche Sportler gewinnen wieder mehr Medaillen bei internationalen Meisterschaften.
Jürgen Scholz, Präsident des Landessportverbandes Baden-Württemberg
Quelle: www.lsvbw.de