Köln (SID) Er lag lang ausgestreckt auf dem Asphalt, als wollte er inmitten der brüllenden Boliden ein kleines Nickerchen halten. Er lag einfach dort, er bewegte sich nicht, während um ihn herum das Treiben immer hektischer, immer atemloser, immer verzweifelter wurde. Sanitäter, Streckenposten, Ärzte scharten sich um ihn, doch Ayrton Senna war nicht mehr da. Leise glitt er hinüber in die andere Welt. Die Sonne war vom Himmel gefallen. Die Boliden brüllten weiter.
An jenem 1. Mai 1994 endete in Imola das Leben eines Mannes, für den der Begriff Superstar neu definiert werden musste. Ayrton Senna da Silva war nicht einfach ein Rennfahrer. Der Brasilianer, Sohn aus gutem und reichem Hause, war der Prototyp eines Menschen, dem das Leben sein ganzes Füllhorn gönnt. Senna war belesen, musikalisch, weltoffen, er spielte Klavier, sammelte Kunst, zitierte altgriechische Philosophen, las Shakespeare und Freud.
Und er fuhr Autorennen. Besser, schneller, spektakulärer, gewagter als andere. Den einen, der da kam, diesen jungen Deutschen namens Michael Schumacher, hatte Senna auf der Uhr, es versprach 1994 ein grandioses Duell um die WM zu werden. Die ersten beiden Rennen hatte Schumacher gewonnen. Senna, 34 Jahre alt, Weltmeister von 1988, 1990 und 1991, hatte sein Auto nach dem Wechsel von McLaren zu Williams noch nicht so recht unter Kontrolle.
Am 1. Mai 1994 um 14.17 Uhr schoss der Williams FW16 offensichtlich unlenkbar mit Tempo 330 aus der berüchtigten langgezogenen Tamburello-Kurve geradeaus, das Auto zerschellte wie ein Spielzeugflieger an der Betonmauer. Ein Teil der Radaufhängung durchschlug Sennas Helm und bohrte sich in seinen Kopf, er hatte nicht den Hauch einer Chance. Die sofortige medizinische Versorgung, der Hubschrauber-Flug in die Maggiore-Klinik von Bologna, alles vergebens, es gab keine Rettung mehr. Der offizielle Todeszeitpunkt war 18.40 Uhr. Die Formel 1 hatte ihren Allergrößten verloren, einen charismatischen, sozial denkenden Schöngeist, einen Wohltäter, der gerne mit jenen teilte, die im Schatten des Lebens standen.
Aber Senna, den stets ein leiser Hauch von Melancholie umwehte, konnte auch anders. Unvergessen die Duelle, die er sich bei McLaren mit seinem Teamkollegen Alain Prost lieferte. Mit voller Absicht fuhren sich die beiden Alphatiere ins Auto, nicht selten schien eine handgreifliche Auseinandersetzung am Rande der Piste unvermeidlich. „Er hat eine Epoche geprägt, die es nie mehr geben wird“, sagt Prost heute: „Senna hat mich gezwungen, über meine Grenzen zu gehen.“
Damals an jenem schwarzen Wochenende von Imola, wo 24 Stunden vor Senna der Österreicher Roland Ratzenberger bei der höllischen Zeitenjagd im Qualifying sein Leben gelassen hatte, haben sie nicht daran gedacht, das Rennen zu stoppen. Eine kurze Unterbrechung, ein kurzes Atemholen im Angesicht der Tragödie, dann ging die gnadenlose Hatz auch schon weiter.
Der Neustart sei für ihn kein Problem gewesen, erzählte Sennas enger Freund Gerhard Berger dem Spiegel, schließlich habe man gehört, dass Senna aus dem Auto raus sei: „Unter Fahrern heißt diese Nachricht: Er ist okay. Ich habe mir keine Sorgen gemacht.“ Die Boliden brüllten weiter, Michael Schumacher gewann das Rennen, es gab natürlich auch eine Siegerehrung.
In den 20 Jahren nach Sennas Tod veränderte die Formel 1 ihr Gesicht. Die Autos wurden stabiler, die Auslaufzonen breiter, die Crashtests immer strenger. „Sicherheit“, sagt Berger, „ist heute etwas Selbstverständliches geworden“, der Tod an der Betonmauer, an der Leitplanke ein Mythos aus längst vergangenen Zeiten. Aus den Zeiten, als Ayrton Senna die Formel 1 prägte. Sein Tod, sagt Gerhard Berger, „war so, als sei die Sonne vom Himmel gefallen“. Die Legende Senna ist unsterblich. Sie lebt weiter. Auch nach 20 Jahren.