Köln (SID) Der Spitzensport findet im Umgang mit Transpersonen keine nachhaltige Lösung. US-Präsident Donald Trump prescht radikal vor, Experten fordern mehr Forschung – auf die neue IOC-Präsidentin Kirsty Coventry kommt viel Arbeit zu.
Aufgeheizte Debatten, spektakuläre Fälle wie bei Imane Khelif und Caster Semenya – und martialische Worte von US-Präsident Donald Trump: Der Umgang mit nicht eindeutig weiblichen Athletinnen in Frauenwettbewerben ist seit jeher eine ungelöste Aufgabe des Spitzensports. An der Spitze des Internationale Olympische Komitees (IOC) hat der scheidende Präsident Thomas Bach seiner Nachfolgerin Kirsty Coventry eine Dauerbaustelle mit Stolpergefahr hinterlassen. Wie kann sie behoben werden?
„Wir werden die weibliche Klasse schützen“, kündigte Coventry unmittelbar nach ihrem Wahlsieg an: „Ich werde mit den internationalen Fachverbänden sprechen, und wir werden eine Task Force gründen. Es wird eine klare Entscheidung geben, von der wir nicht abrücken.“ Wie diese aussehen könnte, ist allerdings noch völlig offen. Und das Zerren um die Deutungshoheit ist längst in vollem Gang.
Auf dem Weg zu den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles macht US-Präsident Trump beim Thema TIN-Personen (Abkürzung für Trans, Inter und Nicht-Binär) mächtig Druck und preschte per Dekret radikal vor. Der 78-Jährige verbietet TIN-Personen in den USA die Teilnahme an Wettkämpfen in weiblichen Sportkategorien und droht für Olympia mit der Ablehnung von Visumanträgen. Der „Krieg gegen den Frauensport“ sei beendet, seine Regierung werde nicht „tatenlos dabei zusehen, wie Männer Sportlerinnen schlagen“. Doch macht es sich Trump nicht viel zu einfach?
Seit jeher beruht das Sportsystem auf der klaren Trennung zwischen Mann und Frau. Dies sei „ein großer Problempunkt“, sagte Dr. Bettina Rulofs, Professorin für Diversitätsforschung, dem SID: „Die Geschlechterkategorien sind nicht nur binär.“ Es gebe eben auch intergeschlechtliche, transgeschlechtliche und non-binäre Personen. Der Sport werde von Menschen wie Trump aber zunehmend „instrumentalisiert“, sagte Rulofs‘ Kollegin Dr. Birgit Braumüller. Gemeinsam mit Sportmedizinern möchten die Forscherinnen ein Standardwerk für das Bundesinstitut für Sportwissenschaft erstellen, um klare Handlungsempfehlungen für den Umgang mit TIN-Personen auf nationaler Ebene vorzugeben.
Schätzungen gehen derzeit von 1,7 Prozent intergeschlechtlichen Personen in der Weltbevölkerung aus. Hinzu kommen Transpersonen und non-binäre Personen. „Die potenzielle Zahl an Menschen, die also nicht in die herkömmliche Trennung der Startklassen nach Frauen und Männern passen, ist nicht zu unterschätzen“, sagte Rulofs. Und darf man ihnen den Zugang zum Sport einfach verwehren?
Die aktuellen Regelauslegungen der unterschiedlichen Weltverbände sind ein ziemliches Wirrwarr, bislang wurde zu einer Einschätzung bei Graufällen zumeist auf Testosteronwerte geschaut, laut Sportmediziner Wilhelm Bloch lässt sich daran aber gar nicht alles festmachen. Zwar werde versucht, Regularien zu finden – die große Frage sei, ob dies zu 100 Prozent möglich ist, sagte er dem SID.
Semenya kämpft bis heute vor dem Europäischen Gerichtshof für eine Aufhebung der sogenannten Testosteron-Regel in der Leichtathletik. Die Olympiasiegerin von 2012 und 2016 gilt als Person mit „Abweichungen in der sexuellen Entwicklung (DSD)“. Der Weltverband, damals noch unter dem Label IAAF, war nach dem Fall von Caster Semenya bei der WM 2009 die erste große Sportorganisation, die zum 1. Mai 2011 „Zulassungsregeln für Frauen mit Hyperandrogenismus“ einführte. Die so genannte Testosteron-Regel – wessen Körper zu viel davon produzierte, muss sich einer Hormontherapie unterziehen – war von Anfang an umstritten, der Sportgerichtshof CAS verbot den Paragrafen 2015. Zum 1. November 2018 wurde ein neues, immer mal wieder überarbeitetes Regelwerk eingeführt – dieses gilt seit 2023 auch nicht mehr nur für die Disziplinen von 400 m (einschließlich der Hürdenrennen) bis hin zu einer Meile. Semenya zog wegen der Regel bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Weltverbands-Präsident Sebastian Coe sagt: „Die Wahrung der Integrität der Wettkämpfe in der Frauenkategorie ist ein grundlegendes Prinzip der Leichtathletik.“ Derzeit arbeitet der Weltverband erneut an einer Aktualisierung der Regel, „um den neuesten Entwicklungen in Wissenschaft, Sport und Recht Rechnung zu tragen“.
Zuletzt hatte der Fall Khelif breite Öffentlichkeit erlangt und für Wellen der Empörung gesorgt. Die Boxerin holte in Paris ein viel diskutiertes Olympia-Gold. Es folgte eine Schlammschlacht, Khelif sei ein Mann im Frauensport, das wurde vielfach unterstellt. Auch für Bloch ergibt sich aus den medizinischen Berichten allerdings ein klares Bild – bei den Frauen hätte sie aus rein biologischer Sicht nicht starten sollen, sie sei von der biologischen Veranlagung her dem männlichen Geschlecht zuzuordnen, findet er. Die Algerierin ist aber nach eigenen Angaben als Frau geboren und aufgewachsen, als Frau hat sie ihren Sport begonnen.
Der beim IOC in Ungnade gefallene Weltverband IBA hatte Imane Khelif 2023 von der WM aufgrund eines Geschlechtertests und daraus abgeleiteter Wettbewerbsvorteile ausgeschlossen, bei Olympia in Paris durfte die Algerierin aber starten und gewann Gold – weil das IOC der IBA zuvor den Status als olympischer Sportverband entzog und das Turnier selbst organisierte. Das Internationale Olympische Komitee hatte bei Olympia 2024 in Paris angesichts der Diskussionen um Khelif dazu aufgerufen, keinen „Kulturkrieg“ zu führen. Die Haltung: Entscheidend ist das Geschlecht, das im Ausweisdokument steht. Über Khelif sagte IOC-Sprecher Mark Adams im vergangen August: „Sie wurde als Frau geboren, lebt als Frau, boxt als Frau und ist nach ihrem Pass eine Frau.“ In Los Angeles 2028 soll der vor zwei Jahren gegründete Amateur-Weltverband World Boxing bei Olympia das Sagen haben, in Kürze will man ein Regelwerk über die „geschlechtsspezifische Teilnahmeberechtigung“ erlassen. Dafür wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die auf Grundlage medizinischer Erkenntnisse „zahlreicher Experten aus der ganzen Welt“ Vorschläge machen soll. „Es ist wichtig, dass wir gleiche Wettbewerbsbedingungen für Männer und Frauen schaffen können, die die Sicherheit aller Beteiligten gewährleisten“, sagte World-Boxing-Präsident Boris van der Vorst.
Die Diskussionen laufen stets auf die große Frage hinaus: Ist das Recht der einzelnen TIN-Person auf Partizipation und Inklusion stärker als das Recht aller auf einen integren Wettkampf? Für eine Beantwortung sind auch Sportrechtlern noch zu viele Fragen ungeklärt. Die Experten drängen auf mehr Forschung, doch vor allem im Spitzensport sind belastbare Fälle verschwindend gering. Erst wenn mehr Fakten bekannt sind, könne laut Rulofs ein „Prozess des Aushandelns“ begonnen werden, der die beiden Pole des Sports ins Verhältnis setzt und austariert.
Für jede Sportart werden klare Richtlinien benötigt, die den unterschiedlichen körperlichen Anforderungen gerecht werden. Eine Lösung muss her, da sind sich alle einig – sonst werde die Situation „dem Sport noch ganz schön um die Ohren fliegen“, befürchtet Rulofs.
Die neu gewählte IOC-Präsidentin Coventry hat nun die Aufgabe, dies zu verhindern.
So sehen die Regeln in weiteren Verbänden aus:
SCHWIMMEN
2022 traf der Weltverband World Aquatics die Entscheidung, Transgender-Schwimmerinnen von Großveranstaltungen wie den Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften auszuschließen. Eine Ausnahme ist nur dann möglich, wenn die Geschlechtsanpassung bereits vor dem zwölften Lebensjahr und damit vor der Pubertät stattgefunden hat. Die Debatte im Schwimmen war insbesondere durch die US-amerikanische Transathletin Lia Thomas befeuert worden, die bis 2019 als Mann schwamm und 2022 als Frau den College-Titel in ihrer Heimat gewann. Beim Schwimm-Weltcup in Berlin im Oktober 2023 führte der Weltverband erstmals eine offene Kategorie nur für Transgender-Athletinnen und -Athleten ein; die geplanten Wettbewerbe fanden jedoch nicht statt, weil es keine Anmeldungen gab.
FUSSBALL
2011 führte der Weltverband FIFA für die Frauen-WM in Deutschland seine Vorschriften zu Geschlechtstests ein. Es fällt in die Verantwortung der FIFA-Mitgliedsverbände und der Mannschaftsärzte, das Geschlecht ihrer Spielerinnen sicherzustellen. Wie diese Leitlinien in der Praxis umgesetzt werden, sorgt mitunter für Wirbel. „Uns wurde gesagt, dass wir uns ´da unten´ in den kommenden Tagen nicht rasieren sollten und dem Arzt unsere Genitalien zeigen werden“, schrieb etwa die ehemalige schwedische Nationalspielerin Nilla Fischer in ihrer Biografie und nannte den Geschlechtstest „krank und demütigend“.