Landessportbünde

LSVBW: „Sport ist eine gesellschaftliche Pflichtaufgabe“

Juli 2025

Bei der Mitgliederversammlung am 19. Juli stellt sich Jürgen Scholz den Delegierten erneut zur Wahl. Im Interview mit „Sport in BW“ zieht er eine Bilanz seiner ersten drei Jahre als Baden-Württembergs obersten Sportler und blickt auf die anstehenden Aufgaben.

Herr Scholz, Sie sind jetzt drei Jahre Präsident des Landessportverbandes Baden Württemberg. Welche Situation oder Begegnung ist Ihnen aus dieser Zeit amnachhaltigsten in Erinnerung geblieben?
Das ist eine sehr schwierige Frage, weil unheimlich viele Eindrücke in dieser Zeit auf mich eingeprasselt sind. Sehr emotional war nach 18 Jahren der Abschied von meinem Amt als Präsident des Württembergischen Leichtathletik-Verbandes. In diesem Amt wirken zu können, hat mir als ehemaliger Leichtathlet sehr viel Freude bereitet, ebenso wie auch im neuen als LSVBW-Präsident.

Als Bürgermeister und Leichtathletik-Präsident standen Sie viele Jahre schon in der Öffentlichkeit. Inwiefern unterscheidet sich das Amt des LSVBW-Präsidenten?
Als LSVBW-Präsident wird man politisch ganz anders wahrgenommen. Sich Respekt und Anerkennung zu erarbeiten, ist nicht unerheblich. Und, so sagen das Andere, sei mir gut gelungen.

Die Sportvereine in Baden-Württemberg haben in diesem Jahr 4,3 Millionen Mitgliedschaften gemeldet. Damit konnte die Rekordmarke aus dem Vorjahr noch einmal um 115 000 Mitgliedschaften gesteigert werden. Was macht den Sport in den Vereinen so attraktiv?
Ganz einfach: Während der Corona-Pandemie haben die Menschen festgestellt, dass sie nicht fürs Single sein geboren, sondern ein Gemeinschaftswesen sind. Viele haben sich daran erinnert, wie schön es ist, in der Gemeinschaft zu leben und sie zu erleben und wie viel es einem bedeuten kann, wenn man sich zum Sport trifft oder abends beim Lauftreff oder zum Volleyball oder Tischtennis spielen. Diese Gemeinschaftserlebnisse, die durch Corona gekappt waren, die bringen die Menschen wieder in die Vereine. Bedauerlicherweise haben wir weniger Trainerinnen und Trainer, und Übungsleiterinnen und Übungsleiter als vor Corona. Aber ich bin mir sicher, dass sich die Schere nicht weiter auseinander belegt. Das belegt auch der neueste DOSB-Sportentwicklungsbericht.

Generell tun sich Sportvereine schwerer, ehrenamtlich Mitarbeitende zu generieren. Was hilft?
Ein großes Dilemma ist, dass sich in den seltensten Fällen während einer Hauptversammlung jemand finden lässt, die oder der ein vakantes Amt übernimmt. Das muss alles vorher schon geklärt sein. Aus meiner Sicht kann dabei helfen, Ehrenämter auf Zeit zu vergeben. Man muss eine Kultur des Wechsels integrieren, um das Ehrenamt in den Funktionärsschnittstellen oder in den Sporthallen oder auf dem Platz interessant zu machen. Ansonsten glaube ich, dass unsere Vereine wirklich gut aufgestellt sind und ihren Job in der Gemeinschaft wunderbar wahrnehmen.

Scholz Schopper Fischer Schaub Menz auf einem Bild
Quelle: LSVBW

Was bedeutet das für seine Rolle gegenüber der Politik?
Der Sport wird besser wahrgenommen und ist kein Bittsteller mehr, sondern der Sport ist auf Augenhöhe unterwegs und sagt selbstbewusst: Wir vertreten 4,3 Millionen Interessenten, das sind etwa 38 Prozent der Bevölkerung von Baden-Württemberg. Da können wir auch Forderungen stellen, die natürlich nicht ins uferlose gehen dürfen, aber durchaus berechtigt sind.

Ein kaum registriertes Beispiel dafür ist wohl, dass in der Stundentafel des neuen, neunzügigen Gymnasiums in der siebten Klassenstufe eine Stunde mehr Sport als vorgesehen ist, unterrichtet wird. Aber warum musste der LSVBW überhaupt intervenieren, wo doch immer wieder auf die enorm positiven Auswirkungen des Sports verwiesen wird?
Immerhin hat der Sport es geschafft, was andere gesellschaftliche Gruppierungen nicht geschafft haben. Das zeigt mir, dass die Politik die Auseinandersetzung mit dem Sport nicht möchte und auch nicht sucht. Das größte Plus des Sports ist, Wege und Ergebnisse aufzuzeigen, die auch ein Dritter mitgehen kann, ohne dass er das Gesicht verliert.

Bei Ihrer Bewerbungsrede auf der Mitgliederversammlung vor drei Jahren haben Sie mit Blick auf den Leistungssport vom „Baden-Württemberg-Weg“ gesprochen, den Sie bestreiten wollen. Welche Abschnitte davon sind Sie schon gegangen?
Ich glaube, dass wir eine wirklich große Kompetenz im Leistungssport in Baden-Württemberg durch unsere Olympiastützpunkte, über unsere Vereine, über unsere Trainerinnen und Trainer, über das hauptamtliche Personal auf der Geschäftsstelle haben. Ich bin auch davon überzeugt, dass wir vieles richtig machen in Baden-Württemberg. Das zeigen auch die Ergebnisse der letzten Olympischen und Paralympischen Spiele oder bei internationalen Meisterschaften. Keine Frage, wir können und wollen noch besser werden, aber man muss auch immer sehen, was systemisch geht. Wir unterstützen mit viel Geld Sportverbände, Athletinnen und Athleten auf ihrem Weg an die Weltspitze. Wie bei einem Trainingsplan müssen Akzente richtig gesetzt und das Geld punktgenau eingesetzt werden. Wenn ich mich für den Hochleistungssport entscheide, dann kann ich nicht erwarten, dass immer alle Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Wir können nur die Rahmenbedingungen optimieren.

Zu den Rahmenbedingungen gehört auch, statt eines Studiums eine Ausbildung parallel zum Leistungssport zu absolvieren. Gibt es genügend Stellen?
Leistungssport ist in den meisten Sportarten kein Garant dafür, dass man seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Partnerbetriebe aus Industrie, Handel und öffentlicher Dienst, wie zum Beispiel auch die Polizei, tragen auf ihre Art dazu bei, dass Leistungssport lebbar und erlebbar wird. Wobei es für Wirtschaft, Industrie und Handel immer ein schmaler Grat ist. Wenn sie eine Sportlerin oder Sportler fördern, dann bedeutet das, dass er in Trainingslagern und bei Maßnahmen unterwegs ist, also nicht am Arbeitsplatz sein kann. Dies verlangt viel Flexibilität von den Arbeitgebern wie auch von den Sportlerinnen und Sportlern. Eines ist aber auch klar: Wenn die Athletin oder der Athlet Erfolg hat und man sie im Fernsehen sieht, dann wächst die Solidarität mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dann stehen alle gemeinsam zusammen.

Ein Thema, das die Sportvereine im Land bewegt, ist der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung, der vom Schuljahr 2026/27 an in den Grundschulen besteht. Der organisierte Sport hat im Dezember 2023 sein Positionspapier veröffentlicht. Wie hat die Politik darauf reagiert?
Das Ganztagsförderungsgesetz ist eine riesige Chance zur Professionalisierung des Sports, auch ländlicher Sportvereine, die bislang nur ehrenamtlich gearbeitet haben. Mit den Rahmenbedingungen, die in unserem Positionspapier formuliert wurden und das auch von den Kommunalen Landesverbänden mitgetragen wird, weiß jeder, welche Beträge im Raum stehen, wer für was Geld bekommen soll. Man muss aber auch deutlich sagen: Vor Ort ist immer eine individuelle Lösung nötig. Der Sport steht bereit, Verantwortung lokal zu übernehmen.

Und wie sieht es in den Kommunen aus?
Um die Vereine in den Großstädten muss man sich eher keine Sorgen machen, die haben diese Professionalisierung oftmals schon. Aber viele kleine Vereine auf dem Land können damit bisher noch nicht allzu viel anfangen. Als Bürgermeister muss ich sagen, dass der Bürgermeister vorangehen und alle potenziellen Partner wie zum Beispiel Sportvereine und Musikschulen ansprechen muss, um das Thema Ganztagsbetreuung am Nachmittag zu besprechen und abzufragen, welche Angebote möglich sind.

Was sagen Sie skeptischen Vereinsvertretern?
Für die Vereine ist es eine große Chance, sich in diesem Bereich zu etablieren und gemeinsam mit den Kommunen als Partner auf Augenhöhe Angebote zu generieren. Und auch Kinder anzusprechen und mitzunehmen, die noch nicht im Verein sind.

Professionalisierung bedeutet, dass die Sportvereine für ihre Dienstleistung bezahlt werden müssen. Steht genügend Geld zur Verfügung?
Ich kann jetzt nicht in die Haushalte der mehr als 1000 Kommunen in Baden-Württemberg schauen, aber es ist ein Rechtsanspruch, den die Städte und Gemeinden erfüllen müssen.

Formuliert hat den Rechtsanspruch der Bund.
Richtig. Und es gibt auch keine Erklärung durch das Land, sich an den Betriebskosten zu beteiligen. Wir waren mit den Musikverbänden eine der wenigen Organisationen, die gesagt haben, dass wir niederschwellig starten müssen. Aber wir müssen anfangen. Es wird dann vor Ort verhandelt werden, wie die Stundensätze für nicht-qualifizierte, für mittlere-qualifizierte oder für ausgebildete Trainer, Sportlehrer oder Erzieher sind, die in dieses System eingebunden werden. Als Sport haben wir dafür mit der sogenannten „Verlässlichen Kooperation“ ein mit dem Städtetag Baden-Württemberg abgestimmtes Papier, aus dem die Stundensätze für das bereitgestellte Personal zu entnehmen ist. Wir als Sport haben unsere Hausaufgaben gemacht, jeder kann’s in unserem Positionspapier nachlesen.

Baden-Württemberg hat derzeit eine koordinierende Stellung auf Bundesebene: Die Kultusministerin hat den Vorsitz in der Sportministerkonferenz, der LSVBW hat 2025 und 2026 den Vorsitz in der Konferenz der Landessportbünde. Welche Themen wollen Sie schwerpunktmäßig bearbeiten?
Wir hatten schon einen ersten Aufschlag als Speerspitze der Landessportbünde im Kanzleramt bei der Leitung der neuen Abteilung für Ehrenamt und Sport, um ein Verständnis zu wecken für die Belange der Sportbünde. Dabei haben wir viele Themen angesprochen: Sportfördergesetz, Finanzierung der Olympiastützpunkte, Safe-Sport-Zentrum, Spitzensportförderung insgesamt. Dabei geht es um die Bundesmilliarde oder um das Sondervermögen von 500 Milliarden Wir haben die Themen angerissen, um sie später in einem regelmäßigen Gedankenaustausch, den wir hoffentlich mit dem operativen Teil des Sports im Kanzleramt haben werden, zu vertiefen. Staatsministerin Christiane Schenderlein haben wir bereits in die Sportministerkonferenz und zur LSB-Konferenz im Herbst nach Stuttgart eingeladen. Auch Ministerin Schopper wird dort zugegen sein.

Heftig diskutiert wird, wann und mit wem sich Deutschland um Olympische und Paralympische Spiele bewerben soll. Was ist die Position des LSVBW?
Wir beziehen dabei zwei Positionen: Der LSVBW ist neutral, weil Baden-Württemberg keine Bewerbung laufen hat. Als Sprecher der Landessportbünde sind wir der Auffassung, dass die Protagonisten beim DOSB langsam in die Bütt kommen sollten. Jetzt haben wir noch etwa 15 Monate, bis das Ergebnis bekanntgegeben werden soll, welche Stadt oder Region den nationalen Zuschlag erhält. Wir haben noch einmal deutlich gemacht, dass der DOSB seine Führungsrolle annimmt. Dass er sie hat, ist keine Frage. Entscheidend aber ist: Wie nimmt er sie wahr?

Zuletzt sind diverse Bewerbungen krachend gescheitert. Was sollte diese Mal besser laufen?
Der DOSB und die vier Bewerberregionen müssen glaubhaft vermitteln, dass Olympische und Paralympische Spiele nicht nur ein gigantisches Infrastrukturpaket sind, sondern nachhaltig für jeden Bürger einen Mehrwert erzielen. Sei es im Kindergarten, sei es in der Schule, um nur zwei Beispiele zu nennen. Es muss gelingen zu vermitteln, dass wir unabhängig vom Zuschlag den Sport in der Gesellschaft, im Kindergarten, in der Schule deutlich stärken. Das hat Volker Bouffier (DOSB-Vorstand mit besonderen Aufgaben; Anm. der Redaktion) völlig zu Recht gesagt: Der Sport muss weg davon, dass Olympische und Paralympische Spiele nur über Investitionen und Kosten gesehen werden, sondern dahin, was er darüber hinaus macht. Wo nimmt er die Kinder mit? Wo haben wir die tägliche Sportstunde? Wo haben wir jeden Tag den dringend nötigen Sport und die Bewegung im Kindergarten und in der Schule? Wenn es uns gelingt, den Sport zusätzlich zur Bewerbung um Olympische und Paralympische Spielen zu etablieren, dann haben wir am Ende eine Region, die die Zustimmung von der Bevölkerung und den Zuschlag bekommt.

In den vergangenen Jahren wurden die Verhandlungen zum Solidarpakt Sport vor den Wahlen zum Landtag abgeschlossen. Im März 2026 wird wieder gewählt. Gibt es schon einen Fahrplan für einen fünften Solidarpakt, der von 2027 bis 2031 laufen wird?
Unser Fahrplan steht: Wir wollen bis Ende des Jahres unterschriftsreif sein.

Das ist der Sport, ein Partner. Will das die Politik auch?
Die will das auch so, allein schon deshalb, um das Thema aus dem Wahlkampf raushalten zu können. Im übrigen: Der Sport ist kein Bittsteller, der Sport ist eine gesellschaftliche Aufgabe für alle, die Menschen ernst nehmen und Menschen in Bewegung bringen wollen.

Quelle: www.lsvbw.de