Frankfurt/Main, 5. Juli (SID) „Aus! Aus! Aus! Aus! Das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister, schlägt Ungarn mit drei zu zwo Toren im Finale in Bern! Auch sechs Jahrzehnte nach dem „Wunder von Bern“, hat die Radioreportage von Herbert Zimmermann nichts von ihrer Faszination verloren. Sie beschreibt den Moment, den Zeitzeugen und Historiker als eigentliche Geburtsstunde der Bundesrepublik bezeichnen.
Dieses „Gründungsdatum“ jährte sich am 4. Juli 1954 zum 60. Mal. Das 3:2 (2:2) der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im WM-Finale von 1954 gegen die als unschlagbar geltenden Ungarn ist längst zu einem deutschen Mythos geworden, der eine Vielzahl von Geschichten rund um den Triumph der Mannschaft von Trainer Sepp Herberger hervorgebracht hat.
Ein „Held von Bern“ sieht den ganzen Rummel, der in diesen Tagen unter anderem wieder durch zahlreiche TV-Dokumentationen geschürt wird, ziemlich gelassen. „Es gibt viele Dinge, die noch nicht in der Öffentlichkeit waren“, sagte Horst Eckel dem SID: „Aber die sollen auch bleiben, wo sie sind.“
Tatsächlich dürfte es schwierig werden, noch weitere Geheimnisse rund um den ersten deutschen WM-Triumph zu lüften. Schließlich sind Eckel (82) und Hans Schäfer (86) als einzige Spieler aus jenen sagenumwobenen Tagen noch am Leben.
Neue Geschichten sind auch gar nicht nötig. Noch heute genügen Schlagworte und Namen, um bei Generationen von Fußballfans Gänsehaut zu erzeugen. Der Geist von Spiez, Wankdorf-Stadion, Elf Freunde, Fritz-Walter-Wetter, Herberger, Helmut Rahn, Toni Turek, Ferenc Puskás, József Bozsik, Gyula Grosics und Adi Dassler gehören ganz sicher dazu.
Auch bei Eckel verblassen die Erinnerungen an den WM-Sieg nicht. „Der Tag ist für immer in meinem Kopf festgeschrieben. Ich denke eigentlich täglich an die WM. Ich bekomme ja auch noch so viel Post wegen der WM. Ich werde also immer daran erinnert“, sagte die Ikone des 1. FC Kaiserslautern: „Ich kann hinkommen, wo ich will – in ganz Deutschland oder sogar im Ausland – ich werde immer wieder darauf angesprochen.“
Das galt auch für die verstorbenen Spieler. Immer wieder mussten sie erzählen, wie Herberger die Ungarn ausgetrickst hat, wie sie das Finale nach dem 0:2 noch gedreht haben, wie groß der Zusammenhalt in der Mannschaft war, wie nach dem Erfolg gefeiert wurde und wie überwältigend der Empfang in der Heimat war.
In den vergangenen sechs Jahrzehnten kamen aber nicht nur die Beteiligten zu Wort. Auch Historiker und Zeitzeugen mussten das Geschehen immer wieder einordnen. Bei den Schilderungen ging es oftmals so emotional zu, dass Tränen flossen.
Die WM-Aufarbeitung hat dafür gesorgt, dass auch Schattenseiten ans Licht gekommen sind. Dazu gehören die Dopingvorwürfe gegen das deutsche Team aufgrund der zahlreichen Hepatitis-Erkrankungen nach der Endrunde, die Morddrohungen gegen Herberger nach seiner B-Elf-Taktik im Vorrundenspiel gegen die Ungarn (3:8) und der private Niedergang (Alkoholsucht, Selbstmordversuche) zahlreicher deutscher Spieler, für die der Ruhm mehr Fluch als Segen war.
Noch schlimmer traf es allerdings die Ungarn. Nach der Niederlage gab es Unruhen in der Heimat. Die Spieler, die sich ebenfalls mit Dopingvorwürfen konfrontiert sahen, wurden teilweise vom Regime verhört, verhaftet und verbannt. Angehörige der Team-Mitglieder verloren ihren Arbeitsplatz. „Das Tor von Rahn“, sagte der kürzlich verstorbene Torwart Grosics vor einigen Jahren: „Es verfolgt mich immer noch in meinen Albträumen.“