London (SID) Alle Jahre wieder wird eine Randsportart zum Phänomen: Um den Jahreswechsel feierte der TV-Sender Sport1 Traumquoten bei der Übertragung der Darts-WM, auch wenn deutsche Erfolge stets ausbleiben.
Es gab eine Zeit, da war die Kneipe das zweite Wohnzimmer des kleinen Mannes. Zwischen Sparkasten, Musikbox und Flipper floss das Feierabendbier. In der hintersten Ecke, dort, wo das Licht noch schummriger schien, stand der Dartautomat. Kein passender Platz für Profisport, wenig verwunderlich, dass Darts in Deutschland jahrzehntelang in der Nische gefangen war.
Längst hat die Event-Gastronomie die Spelunke abgelöst, und auch der Kneipensport hat – zumindest einmal im Jahr – seinen Weg auf die bunte (TV-)Bühne gefunden. Seitdem Sport1 (ehemals DSF) die Darts-WM aus dem Londoner Alexandra Palace überträgt, begeistern sich hunderttausende Deutsche für das Spektakel mit den kleinen Pfeilen und den großen Bierkrügen. Im elften Jahr mittlerweile bescherten Rekordchampion Phil „The Power“ Taylor & Co. dem Sender um den Jahreswechsel konstant hohe Einschaltquoten.
Die Übertragung der Weltmeisterschaft in diesem Jahr bescherte dem TV-Sender Sport1 hervorragende Quoten und einen neuen Zuschauer-Rekord . Das Finale zwischen Gary Anderson und Phil Taylor (7:6) am 5. Januar sahen im Schnitt 1,36 Millionen Zuschauer, das bedeutet einen Marktanteil von 4,9 Prozent. In der Spitze waren es sogar 1,86 Millionen. Die bisherige Bestmarke hielt das Finale vor zwei Jahren, damals hatten im Schnitt 820.000 Zuschauer eingeschaltet.
Doch was macht die Faszination, die aus dem „Ally Pally“ ins heimische Wohnzimmer schwappt, überhaupt aus? „Ein Geheimnis dieser WM ist die Zeit, in der sie stattfindet“, sagt Sport1-Kommentator Elmar Paulke dem SID: „Die Leute haben wohl schon genug Filme geschaut oder mit der Familie geredet.“ Welch‘ Abwechslung „dickbäuchigen Menschen, die wie Popstars gefeiert werden“, beim Sport zuzugucken. Bis zu einer Million Zuschauer schalteten in diesem Jahr in der Spitze bereits ein. Am letzten Montag des Jahres verfolgten 510.000 Zuschauer das Zweitrunden-Aus des letzten Deutschen, Max Hopp. Keine Randsportart ohne nationales Zugpferd kann da mithalten.
„Es ist wie eine Welle, die immer größer wird und ihren Höhepunkt noch nicht erreicht hat“, sagt Paulke, der seit der ersten Übertragung 2004 aus London kommentiert und längst die Stimme des deutschen Darts geworden ist. Wenn irgendwann ein Deutscher ganz vorne mitmischt, werde der Sport einen gewaltigen Schritt nach vorne machen, glaubt Paulke, Schwager des Tennisprofis Tommy Haas.
Darauf hofft auch der Deutsche Darts-Verband (DDV), der laut Bundesspielleiter Jürgen Vollbrecht vom TV-Boom enorm profitiert hat. „Darts wird immer bekannter. Es ist schon Wahnsinn, was nach der WM in den Läden los ist. Die Leute zahlen horrende Preise für die Scheiben und Pfeile“, sagte Vollbrecht dem SID. In den Mitgliederzahlen spiegelt sich die Begeisterung allerdings nicht wider: Nicht mehr als 10.000 Sportler sind im DDV organisiert, das sind weniger als 2010, als der Verband nach langjährigen Bemühungen endlich die Aufnahme in den DOSB schaffte.
„Die Fluktuation ist hoch, ständig kommen neue Spieler hinzu, ständig verlassen uns Spieler“, sagt Vollbrecht: „Unser Ziel muss es sein, die Mitglieder länger zu binden, Stützpunkte zu errichten und Trainer auszubilden.“ Sprich: professioneller zu werden. Derzeit verdienen nur drei Spieler – Max Hopp, Jyhan Artut und Tomas Seyler – ihr Geld ausschließlich mit Darts. „Doch wir sind auf einem guten Weg“, meint Vollbrecht, ein Livestream der Bundesliga und Ranglistenturniere bei sportdeutschland.tv ist in Planung.
Aus dem Kneipenmilieu ist der Sport herausgewachsen, nun sprießen die Talente in heimischen Kellern und auf Dachböden. „Das ist die Generation, die mit der WM bei Sport1 groß geworden ist“, sagt Vollbrecht: „Jetzt müssen wir es schaffen, sie im Verband zu organisieren.“