Leicester/Köln (SID) Als das Warten auf das Wunder endlich ein Ende hatte, begann in ganz Leicester die Party des Jahres. Das Sensationsteam um den früheren deutschen Nationalspieler Robert Huth hat sein Fußballmärchen vollendet und ist zum ersten Mal englischen Meister. Zur Entscheidung trug ausgerechnet der entthronte Titelverteidiger FC Chelsea bei, der gegen Leicesters einzig verbliebenen Verfolger Tottenham Hotspur am Montag, 02. Mai, ein 2:2 (0:2) erkämpfte.
Leicester, das zuvor bei Rekordchampion Manchester United zu einem 1:1 gekommen war, ist an den letzten beiden Spieltagen nicht mehr von der Spitze zu verdrängen. Der Vorsprung auf Tottenham beträgt sieben Punkte.
Während die Spieler das entscheidende Duell an der Stamford Bridge gemeinsam in der Villa von Torjäger Jamie Vardy verfolgten, bekam der Vater des Erfolges von alldem zunächst nichts mit. Trainer Claudio Ranieri, der aus einem Abstiegskandidaten erst eine Einheit und dann den neuen Champion formte, befand sich in rund 10.000 Meter Höhe in einem Flieger. Statt den Moment der Entscheidung in Leicester zu erleben, hatte sich der 64-Jährige für ein Essen mit „Mamma“ in Rom entschieden.
„Meine Mutter Renata ist 96. Wir gehen essen, das habe ich ihr versprochen“, hatte Ranieri gesagt. „Wenn Tottenham spielt, bin ich in der Luft. Das Ergebnis erfahre ich wohl als Letzter.“
Das Risiko, das letzte Kapitel im wohl wundersamsten Märchen der englischen Fußballgeschichte zu verpassen, ging Ranieri mit seinem Kurztrip gerne ein. Zu feiern gab es nach seiner Ankunft genug. Der Zeitpunkt der Meisterschaft sei „nicht wichtig“, sagte er: „Hauptsache, es passiert“. Ob am Montag mit einem Patzer des Rivalen Tottenham oder später, sei „egal“.
„Leicester“ und „Meisterschaft“ in einem Satz, noch vor einem Jahr wäre das undenkbar gewesen. Im März 2015 stand der Klub als Aufsteiger abgeschlagen am Tabellenende der Premier League. Was seither passiert ist, bezeichnet nicht nur Abwehrspieler Roberth Huth als „Märchen“, weil es schlicht kein besseres Wort gibt. Sieben Siege aus neun Spielen brachten noch den Klassenerhalt, dann begann der Sturm an die Spitze.
Zu verdanken ist das vor allem Ranieri. Der Teammanager, in seiner Zeit bei Chelsea als wankelmütiger „Tinkerman“ verspottet, ist längst Leicesters Liebling. Ende April befragte ein TV-Sender die Einwohner der Kleinstadt zu Ranieri, das Ergebnis waren wahre Liebesbekundungen. Als dem 64-Jährigen das Video gezeigt wurde, stammelte er gerührt immer wieder „Danke“, und dann: „Kann ich das Video bitte haben?“
Ranieris Verdienst ist es, eigentlich ausgemusterte Spieler zu Stars geformt zu haben. Am Sonntag wählte die Vereinigung der englischen Fußball-Journalisten ihren Spieler des Jahres. Platz 1: Torjäger Vardy. Platz zwei: Riyad Mahrez. Platz drei: N’Golo Kante. Alle von Leicester, alle vor der Saison kaum beachtete Profis.
Doch die No-Name-Truppe verblüffte. Bei 5000:1 stand vor der Saison die Quote für die Meisterschaft, kein Klub war schlechter notiert. Zum Vergleich: Dass Weihnachten der heißeste Tag des Jahres wird, sahen Englands Buchmacher als ebenso wahrscheinlich an. Doch spätestens nach dem 3:1 bei Manchester City am 06. Februar sackte die Quote drastisch ab. Zuletzt nahmen die Büros schon gar keine Wetten mehr an.
Immerhin: Exakt zwölf Wetter waren laut BBC das Risiko eingegangen und hatten vor der Saison auf die Füchse gesetzt. Ein Fan, der 38 Jahre alte Leigh Herbert, erzählte, er habe bei einem Camping-Urlaub „nach ein paar Drinks“ und in der Euphorie des Klassenerhalts sowie der Verpflichtung von Ranieri fünf Pfund gesetzt. Vom Gewinn will er „Schulden abbezahlen und heiraten“.
Vielleicht aber ist am Ende doch König Richard III an allem schuld. 2012 wurden die Gebeine des Monarchen in Leicester unter einem Parkplatz gefunden worden, im März 2015 wurde Richard in der örtlichen Kathedrale feierlich bestattet. Seither läuft es bei City. Ein wahres Märchen eben.