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April 2024

Wohl nirgendwo kann man der Alltagshektik so leicht und vollkommen entfliehen, wie auf abgelegenen Wanderwegen inmitten der Natur. Wie bei jeder anderen Sportart läuft aber auch beim Wandern ein gewisses – wenn auch sehr geringes – Unfallrisiko mit. Die Bergwacht Berchtesgaden wird jährlich zu rund 300 Noteinsätzen in den umliegenden Bergen gerufen. Wir sprachen mit Bereichsleiter Stephan Bauhofer über die Prävention von Bergunfällen und die erforderlichen Maßnahmen in Unglücksfällen. Stephan Bauhofer ist im Winter für die DSV-Skiwacht der „Stiftung Sicherheit im Skisport“ und im Sommer als Bergretter im Einsatz. Er war bereits an den schwierigsten Einsätzen der Region, wie etwa der mehrtägigen Rettung des Höhlenforschers Johann Westhauser aus der Berchtesgadener Riesending-Schachthöhle, beteiligt.

DSV aktiv: Rettungen wie die des Höhlenforschers aus über 1000 Meter Tiefe in der Riesending-Schachthöhle sind Extremeinsätze und sehr seltene Ausnahmen. Zu welchen Einsätzen werden Sie und Ihre Kollegen bei der Bergwacht Berchtesgaden am häufigsten gerufen?
Stephan Bauhofer: „Die meisten Fälle betreffen schon die klassischen Wanderer und Bergsteiger. Gelegentlich werden wir auch zu Kletterunfällen gerufen, solche Notrufe sind aber selten. Wenn sie allerdings reinkommen, sind sie natürlich viel aufwändiger, da die Einsatzgebiete meist schwer erreichbar sind. In der Regel melden sich Bergsportler bei uns, die sich leicht verletzt haben oder völlig erschöpft sind und dadurch nicht mehr weiterkommen.“

DSV aktiv: Sie und Ihr Team haben alle jahrelange Erfahrung in der professionellen Bergrettung. Können Sie uns sagen, was konkret zu Bergunfällen führt?

Bauhofer: „Früher lag es oft an der falschen Ausrüstung. Das ist heute eigentlich nicht mehr so der Fall. Viele Wanderer fahren mit der Bahn auf die Berge und gehen von dort aus los. Manche unterschätzen dann die Tour und kommen weit vor dem Ziel ans Ende ihrer Kräfte. Das meiste Potenzial liegt deshalb sicherlich in einer guten Tourenvorbereitung und -planung. Es ist einfach oft so: Die Gäste kommen nach Berchtesgaden und wollen gleich eine Paradetour machen, wie etwa die Watzmann-Überschreitung oder die ‚Kleine Reibe‘. Leider oft ohne große Vorbereitung. Bei einer Tour, der man physisch nicht gewachsen ist, passieren dann natürlich auch häufiger Unfälle und Verletzungen.“

DSV aktiv: Können Sie in den letzten Jahren eine Entwicklung erkennen?
Bauhofer:
„Ja, der Trend zum besseren Material ist sicher da. Turnschuh- oder Sandalentouristen sieht man nicht mehr so oft. Was auf jeden Fall sehr viel verändert hat, ist das Handy! Zum einen für uns Bergretter, weil wir mit den Verunfallten leicht in Kontakt treten können und frühzeitig alarmiert werden können. Zum anderen aber auch für den Melder, da er die Rettung direkt vor Ort rufen kann, ohne erst ins Tal oder zur nächsten Hütte absteigen zu müssen. Natürlich immer vorausgesetzt, dass man in einem Gebiet mit ausreichend Empfang unterwegs ist. Dank des Handys kann der Bergsteiger auch anrufen, bevor etwas passiert – was eine klassische ‚Rettung aus Bergnot‘ bedeutet. Früher wäre man in solchen Situationen vielleicht weiter gegangen bis wirklich gar nichts mehr geht. Wir sind natürlich immer froh, wenn wir rechtzeitig alarmiert werden. Lieber werden wir einmal zu viel gerufen, als dass sich der Bergsteiger ins Tal schleppen will und damit in eine gefährliche Notsituation gerät. Gewisse Fehlmeldungen sind durch das Handy aber auch angestiegen und bedeuten für uns eine Zusatzbelastung. Was wir vermehrt reinbekommen, sind Notrufe aufgrund von Lichtzeichen. Diese werden oft als vermeintliches Notsignal fehlgedeutet, dabei ist es nur der Schein der Stirnlampen der absteigenden Wanderer. Aber generell hat das Handy sehr vieles zum Positiven verändert.“

DSV aktiv: Was kann man als Wanderer tun, um sich zu schützen?

Bauhofer:
„Wie gesagt: Das meiste Potenzial liegt meiner Meinung nach in einer umfassenden Tourenplanung. Das eigene Leistungsvermögen und die eigene Kraft richtig einschätzen zu können, ist enorm wichtig. Man sollte die Schwierigkeitsgrade und die Längen der Touren Schritt für Schritt steigern, anstatt gleich am ersten Urlaubstag die schwerste Tour in Angriff zu nehmen. Man sollte unbedingt vorher Vorbereitungstouren machen. Das macht der Kletterer ja nicht anders. Der fängt auch mit leichteren Touren an. Nur so sammelt man Erfahrung und lernt, die Gefahren zu erkennen. Man ist viel aufmerksamer unterwegs.“

DSV aktiv: Spielt das Wetter denn auch eine Rolle?
Bauhofer: „Wenn es wie heuer nicht so viele schöne Sommertage gibt, dann gehen bei gutem Wetter sehr viele raus in die Berge. Dann passiert tendenziell auch mehr, weil eben auch wesentlich mehr Wanderer unterwegs sind. Das ist im Winter auf den Pisten nicht anders, betrifft aber nur die absoluten Zahlen. Es passiert immer mal wieder, dass Bergsportler vom schlechten Wetter überrascht werden, obwohl es im Wetterbericht so vorhergesagt wurde.“

DSV aktiv: Das Risiko eines Bergunfalls ist angesichts der Vielzahl von Wanderern und Bergsteigern in den Alpen und Mittelgebirgen verhältnismäßig gering. Sollte es dennoch zu einem Unglück kommen: Was sind die wichtigsten Schritte nach einem Bergunfall?
Bauhofer:
„Wenn sich der Verunglückte nicht im Gefahrenbereich befindet, ist das Absetzen des Notrufs die erste Maßnahme. Das geht überall über die Rufnummer 112. Man kann sich bei der Meldung recht gut an den sogenannten W-Fragen orientieren: Was ist passiert? Wo befindet man sich? Wer und wie viele sind betroffen? Welche Art der Verletzung liegt vor? Für uns Bergretter ist es entscheidend, die Einsatzstelle so genau wie möglich lokalisieren zu können. Wenn wir nicht wissen, wo sich der Verletzte befindet, tun wir uns schwer, zu helfen. Heutzutage kann man die Koordinaten auch auf dem Handy ablesen, das geht ganz einfach über eine App. Es hilft enorm, wenn die Orte genau beschrieben werden können.
Verunglückte sollten sich aber auch darüber im Klaren sein, dass Rettungseinsätze am Berg länger dauern als im Tal. Die Einsatzstellen sind in der Regel schwer zugänglich. Man muss also vor Ort Vorkehrungen treffen, um die Wartezeit zu überbrücken. Mit am wichtigsten ist dabei der Wärmeerhalt: Der Verunglückte sollte sich auf eine isolierte Unterlage oder zumindest auf einen Rucksack setzen. Wenn möglich, sollte anschließend die Verletzung erstversorgt werden. Dafür muss man nicht übermäßig viel dabei haben, eine Grundausstattung mit einigen wenigen wichtigen Dingen reicht: Mit einem Handy, einer Rettungsdecke und einem Erste-Hilfe-Set kommt man schon recht weit.“

DSV aktiv: Sie sprachen vom Gefahrenbereich? Wie ist der definiert?
Bauhofer:
„Ein Gefahrenbereich ist klassischerweise eine Stelle, an der Steinschlag, eine Absturzgefahr oder ein sonstiges Risiko drohen. Ist das Unglück dort passiert, sollte man sich entweder gut positionieren oder nach Möglichkeit versuchen, aus dem Gebiet herauszukommen. Die Entscheidung darüber kommt auf die konkrete Situation an. Was Bergsteiger auch beachten sollten: Der Handyempfang wechselt in den Bergen meist sehr stark. Wenn der Empfang gut ist, sollte man möglichst an dieser Stelle bleiben. Der Bergwachteinsatzleiter, der von der Rettungsleitstelle alarmiert wird, bleibt mit dem Verunglückten in Kontakt. Handyempfang vereinfacht die Suche und Rettung enorm. Wenn der Notruf abgesetzt wurde, bitte nicht mehr telefonieren! Zum einen um erreichbar zu bleiben, zum anderen um den Akku zu schonen. Wir erleben es häufig, dass ausgerechnet in Notsituationen der Akku fast leer ist.“

DSV aktiv: Wenn man schwerer verletzt ist, sind manche Maßnahmen ohne fremde Hilfe schwierig umzusetzen. Heißt das, man sollte nie alleine in die Berge gehen?
Bauhofer:
„Natürlich ist es vorteilhaft, wenn man mindestens zu zweit ist, sodass sich einer um die Notfallmeldung und Versorgung kümmern kann. Aber die Entscheidung darüber sollte jeder Bergsportler auch im eigenen Ermessen treffen dürfen. Geht man alleine in die Berge, sollte man unbedingt gewisse Vorkehrungen treffen: jemandem Bescheid geben, wohin man geht und welche Route man wählt. Und auch angeben, zu welcher Zeit man wieder zu Hause sein möchte. Bei Vermisstenfällen heißt es oft „der wollt in die Berge gehen“ – dann müssen Polizei und Rettungskräfte erst einmal das Auto suchen. Das steht dann vielleicht am Königssee-Parkplatz, von dort aus gibt’s aber wieder zig verschiedene Touren. Es steht außer Frage, dass dabei viel zu viel lebenswichtige Zeit drauf geht. Übrigens: Auch Tourenbucheintragungen auf den Hütten mit Routenbeschreibung oder Notizen im Gipfelbuch können hilfreich sein und haben uns schon öfters Vermisstensuchen erleichtert.“

DSV aktiv: Sie sind bereits seit über 15 Jahren in der Bergrettung aktiv. Wie sind Sie persönlich zur Bergwacht gekommen und was macht für Sie den Reiz am Bergwachtdienst aus?
Bauhofer:
„Als ich mit dem Klettern angefangen habe, hab ich einige Bergretter kennen gelernt, die mich für dieses Ehrenamt begeistern konnten. In der Anwärterausbildung kann man wahnsinnig viel lernen, von der Seiltechnik bis zur Notfallmedizin. Daraus kann man auch für sich selbst einen großen Nutzen ziehen. Richtig interessant ist für mich, dass man in vielen verschiedenen Bereichen, wie dem Bergsteigen, Klettern, Skitourengehen, Skifahren und auch der Notfallmedizin fit sein muss. Dazu kommt, dass man grundsätzlich ja helfen möchte, wenn andere in Notsituationen sind. Wenn man viel in den Bergen unterwegs ist, beschäftigt man sich mit der Thematik, möchte selbst auch, dass einem im Notfall bestmöglich geholfen wird. Die beste medizinische Versorgung an schwer erreichbaren Orten zu gewährleisten, das macht für mich den großen Reiz aus!“

DSV aktiv: Bei der ehrenamtlichen Arbeit in der Bergrettung muss man immer mit einem Notruf rechnen. Wie lässt sich das mit dem eigenen (Familien-)Alltag vereinbaren?
Bauhofer:
„Die Wochenenden werden in feste Dienstpläne aufgeteilt. Unter der Woche übernehmen diejenigen Bergretter den Dienst, die Zeit haben und vor Ort sind. Da die Einsätze ehrenamtlich durchgeführt werden, ist es nicht immer einfach, sie mit dem eigentlichen Beruf zu verbinden. Im Sommer kann es schon mal sein, dass man einige Tage hintereinander von morgens bis abends im Einsatz ist. Die Arbeit als Bergretter ist auf jeden Fall sehr zeitintensiv. Wenn es nicht so einen Spaß machen würde, würde man es auch nicht machen! Immer mal wieder kommen ehemalige Patienten zu uns und erzählen, wie gut es ihnen wieder geht. Das ist die größte Bestätigung für unsere Arbeit!“

Achtung: Schutz vor erhöhten Bergungskosten
In einzelnen Fällen, etwa bei einer Hubschrauberbergung, können bei einer Verletztenbergung erhöhte Kosten auftreten, die von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen werden und daher selbst getragen werden müssen. Mit den Versicherungen von DSV aktiv können sich Bergsportler – auch für ihre Sommerreise- und Freizeitaktivitäten – gegen dieses Risiko absichern.

Quelle: www.ski-online.de