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April 2024

Sport-Informations-Dienst (SID)

Gwangju (SID) Bei der WM hat Florian Wellbrock Schwimm-Geschichte geschrieben. Das gibt ihm Auftrieb für die Olympischen Spiele, mit denen der doppelte Wellbrock noch eine Rechnung offen hat.

Florian Wellbrocks erste Nacht als Doppel-Weltmeister war sehr kurz. Nicht etwa, weil Deutschlands neuer Schwimmstar nach seinem historischen Goldcoup von Gwangju kräftig über die Stränge geschlagen hätte. Aber der Bus zum Flughafen fuhr für Wellbrock und Co. am Montagmorgen noch vor dem Sonnenaufgang ab.

Doch viel Schlaf hätte der 21-Jährige wohl ohnehin nicht bekommen, sein famoses Goldrennen über 1500 m Freistil zum Abschluss der WM in Südkorea war emotional viel zu aufwühlend gewesen. Wellbrock hatte es allen Zweiflern gezeigt, die seinen Doppelstart im Freiwasser und Becken nach dem Vorlauf-Aus über 800 m schon als Fehler bezeichneten. Wellbrock hat es aber vor allem sich selbst bewiesen. Er weiß jetzt: Doppel-Gold ist auch bei Olympia möglich.

„Ich habe gezeigt, dass ich auf großer Bühne schwimmen kann. Daraus machen wir dann nächstes Jahr das Beste“, sagte Wellbrock, der zuvor schon im offenen Gewässer über die zehn Kilometer triumphiert hatte. Der doppelte Wellbrock hat es bei Olympia etwas leichter, dort finden zuerst die Becken- und dann das kräftezehrende Freiwasserrennen statt. Für Paul Biedermann, den bis dahin letzten deutschen Doppel-Weltmeister, ist klar: „Er ist nun in Tokio der klare Favorit über 1500 m Freistil und die zehn Kilometer im Freiwasser.“

Mit Olympia, das gab Wellbrock zu, habe er „definitiv“ noch eine Rechnung offen. Bei seinen ersten Sommerspielen 2016 in Rio war der damals 17-Jährige mit staunenden Augen durchs Athletendorf und die Arena gelaufen, völlig überfordert mit den Dimensionen. Die Nervosität übertrug sich auf seine Leistung. Vorlauf-Aus über 1500 m in einer indiskutablen Zeit. „Der Schritt auf den Startblock“, gestand Wellbrock damals, „hat mich einfach erschlagen.“

Drei Jahre später schwimmt der Freund der Vizeweltmeisterin Sarah Köhler nicht nur um 48 Sekunden schneller, er bewies in einem der spannendsten 1500-m-Finals der Geschichte gegen den italienischen Olympiasieger Gregorio Paltrinieri und Ukraines Langstreckenstar Michailo Romantschuk auch Nervenstärke und taktisches Geschick. Das Trio dürfte auf dieser Strecke auch in Tokio die Medaillen unter sich ausmachen – und ab jetzt ist Wellbrock der Gejagte. „Nächstes Jahr“, sagt er, „werden die Karten neu gemischt.“

Bis dahin wird sich der in der Öffentlichkeit eher zurückhaltende Magdeburger mit der neuen Rolle als Schwimmstar anfreunden müssen. Die auf seiner Brust tätowierte Zeile „Genieß dein Leben ständig, du bist länger tot als lebendig“ aus einem Lied des Rappers Sido oder der frühe Tod seiner Schwester Franziska, die beim Schwimmen starb, werden plötzlich thematisiert.

Dabei will Wellbrock, der kurz vor der WM seine Ausbildung zum Immobilienkaufmann erfolgreich abschloss, eigentlich nur schwimmen. Deshalb zog er in jungen Jahren von Bremen nach Magdeburg, wo Trainer Bernd Berkhahn das große Talent zu einem Siegschwimmer formte. Nicht ohne Probleme. In der Anfangszeit in Magdeburg („Es war alles Mist“) schwirrten sogar ganz düstere Gedanken durch Wellbrocks Kopf.

„Ich fragte mich: Wenn ich mir das hier alles antue, was mir eigentlich gerade nicht passt, und morgen überrollt mich ein Lastwagen – dann habe ich die vergangene Zeit scheiße gelebt. Für nichts“, sagte Wellbrock der Tageszeitung Die Welt. Jetzt weiß er: Es hat sich gelohnt. „Ich bin sehr zufrieden mit dem Weg, den ich gegangen bin.“

Wasserball: Riesenschritt aus der Krise – Fokus auf Olympia-Qualifikation.

Auch den deutschen Wasserballern war nach ihrem besten WM-Abschneiden seit acht Jahren nicht nach Feiern zumute. „Von uns wird keiner rausgehen“, kündigte Torwart Moritz Schenkel an. Grund für die ungewohnte Zurückhaltung der Nationalspieler war nicht das 6:11 im Spiel um Platz sieben gegen Griechenland, sondern die Tragödie, die sich in einem Nachtklub in der Nähe des Athletendorfs ereignet hatte.

Beim Frühstück hatten Schenkel und Co. aus den Sozialen Netzwerken erfahren, dass in der Nacht ein Balkon zusammengekracht war und dabei zwei Menschen gestorben waren. Dabei sollen auch Wasserballer verletzt worden sein. „Die erste Maßnahme war: Durchzählen!“, berichtete Bundestrainer Hagen Stamm: „Aber ich war mir sicher, dass meine Jungs nicht in der Disco waren.“

Die „bedrückende Stimmung“ war aber laut Stamm kein Grund dafür, dass seine Spieler zum WM-Abschluss nicht mehr an die starken Leistungen gegen den neuen Weltmeister Italien (7:8), den späteren WM-Dritten Kroatien (8:10) und Europameister Serbien (16:17 nach Fünfmeterwerfen) anknüpften. „Wir waren ein harmloser Papiertiger im Angriff“, meinte der Bundestrainer.

Ihr WM-Ziel Viertelfinale hatte die Auswahl des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) schon vor einer Woche erreicht und damit alle Vorgaben erfüllt. „Jetzt wollen wir auch bei der EM unter die Top Acht“, sagte Schenkel mit Blick auf die Europameisterschaft (12. bis 26. Januar) in Budapest. Damit würde das Stamm-Team den ersten großen Schritt zu den Olympischen Spielen 2020 in Tokio gehen und die Teilnahme am Qualifikationsturnier (22. bis 29. März) in Rotterdam sichern.

„Das wird schwerer als hier bei der WM“, warnte Stamm. Weil möglicherweise andere Kontinente auf ihre Quotenplätze verzichten, könnte aber auch der neunte oder zehnte Rang reichen. In den Niederlanden werden dann mindestens vier Olympia-Tickets ausgespielt. Die Sommerspiele 2012 in London und 2016 in Rio hatten die deutschen Wasserballer verpasst.

Die starken Leistungen beim WM-Comeback nach sechs Jahren machten Mut für die große Olympia-Aufgabe. „Wir haben einen Riesenschritt gemacht“, meinte Schenkel und fügte an: „Jetzt haben wir gelernt, wie man knappe Spiele verliert. Nächstes Jahr können wir zeigen, dass wir knappe Spiele auch gewinnen können.“

Für Bundestrainer Stamm, der in seiner zweiten Amtszeit die Wasserballer aus einer tiefen Krise zurück in die erweiterte Weltspitze geführt hat, war die wichtigste Erkenntnis: „Der größte Fortschritt war, vor den Großen keine Angst zu haben und sie möglichst lange nervös zu machen. Dann kann man die auch schlagen.“